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Im ersten Teil – Iran als sozio-kultureller Rahmen – wurden Fakten und Hintergrundwissen präsentiert und der Zusammenhang zwischen Iran und Islam erklärt. In diesem Teil wird auf die Schönheit der persischen Frau in der persischen Kunst und Literatur eingegangen.

Schönheit der Frau in persischer Kunst und Literatur

Die persische Literatur hat eine lange Tradition, die sich bis ins Altertum zurückverfolgen lässt. Es hat Größen, wie Ferdusi, Khayyam, Saadi, Rumi, Dschami und Hafis hervorgebracht, die auch im Abendland großen Anklang fanden. So schrieb Johann Wolfgang von Goethe sechs Jahrhunderte später über Hafis:

Guschtasp erschlägt den
Drachen vom Berg Sakila
Schahname des Firdusi,
„Das Buch der Könige„
Miniatur von:
Mirza ‘Ali,
ca. 1527/28,
Metropolitan Museum of Art,
New York

Und mag die ganze Welt versinken,
Hafis mit dir, mit dir allein
Will ich wetteifern! Lust und Pein
Sei uns, den Zwillingen, gemein!
Wie du zu lieben und zu trinken,
Das soll mein Stolz, mein Leben sein.

Du bist der Freuden echte Dichterquelle
Und ungezählt entfließt dir Well’ auf Welle.
Zum Küssen stets bereiter Mund,
Ein Brustgesang, der lieblich fließet,
Zum Trinken stets gereizter Schlund,
Ein gutes Herz, das sich ergießet.

Viele Gedichte wurden mit der persischen Buchmalerei verziert, um den Geschichten ein Gesicht zu verleihen. Diese Illustrationen werden als persische Miniaturmalerei bezeichnet und ihre wichtigste Funktion war die künstlerische Ergänzung der Poesie. Der Reichtum an persischer Literatur brachte gleichzeitig verschiedene Miniaturschulen hervor, die wiederum einen eigenen Stil prägten.
Einige der Literaturprojekte und viele Miniaturmalereien wurden von damaligen Königshäusern finanziert und können deshalb als frühe Kulturförderung angesehen werden.
Das Schönheitsideal der damaligen Zeit wurde dichterisch erzählt und durch die Miniaturkunst annähernd verdeutlicht. In den folgenden drei Beispielen werden Miniaturen zu verschiedenen Werken berühmter Dichter repräsentativ für die Schönheit der Frau in persischer Kunst und Literatur dargestellt. So erhalten wir aus der persischen Kunst und Literatur einen Überblick über die damaligen Schönheitsideale.

Chamsa des Nizami

Der persische Dichter Nizami (1140-1209) schrieb im 12. Jahrhundert sein Hauptwerk „Chamsa“ („Fünfer“, oder „die fünf Schätze“), welches aus fünf Epen besteht.
Eines seiner fünf Epen ist die romantische Erzählung namens Chosrou und Schirin, welches auf einer wahren Begebenheit basiert und die Liebe des Königs Chosrou zu Schirin behandelt. Zum Kapitel „Schirins Bad“ wurde eine Miniaturmalerei von Sultan Mohammad hinzugefügt, welche die Geschichte zum genannten Kapitel illustriert. Im Buch „Persische Buchmalerei“ von Stuart Cary Welch wird die Geschichte zu „Schirins Bad“ folgendermaßen zusammengefasst:

Shirin Bad
Miniatur von:
Sultan-Muhammed
1539-1543,
The British Library,
London

Die weitschweifige Liebesgeschichte zwischen Chusrau und Schirin begann damit, daß Schapur seinem Freund Chusrau die Schönheit der armenischen Prinzessin lebhaft schilderte. Dieser wurde daraufhin nach Armenien gesandt, um Schirin ein Porträt des persischen Prinzen zu zeigen, das nun auch die Liebe der Prinzessin erweckte. Beide wurden so ungeduldig,

einander zu sehen, daß Schirin nach Iran und Chusrau nach Armenien eilte.
Schirin ritt ihr nachtschwazes Pferd Schabdiz sieben Tage und Nächte, bis sie schließlich, staubig von der Reise, in einem einladenden Teich badete. In diesem Augenblick ritt Chusrau auf seinem Weg nach Armenien vorbei und erblickte die überwältigende Szene. Er starrte wie im Traum hin. In äußerster Verwirrung sahen sie einander an, und obwohl jeder ahnte, wer der andere sei, waren beide zu betroffen, um zu sprechen. Jeder ritt seines Weges weiter.

Diwan des Hafis

Der wohl berühmteste Dichter Hafis ( 1326-1390) schuf im 14. Jahrhundert zahlreiche Gedichte, die erst nach seinem Tod zum Diwan („Gesammelte Werke“) zusammengetragen wurden. Der Diwan besteht aus 600 vorwiegend lyrischen Gedichten.

Shirin Bad
Miniatur von:
Sultan-Muhammed
1539-1543,
The British Library,
London

Des Gartens Liebesluft
Ohne des Freundes Wange sind Rosen reizend nicht,
Und ohne roten Wein ist der Frühling reizend nicht
Die Reize einer Wiese, des Gartens Liebesluft:
Ohne die Tulpenwangen sind sie doch reizend nicht.

Ein Freund, der zuckerlippig und rosengliedrig ist —
Mit ihm ist‘s ohne Kosen und Küssen reizend nicht.
Das Tanzen der Zypresse, der Rose Haltung auch
Sind ohne süße Sänge des Sprossers reizend nicht.
Welch Bild auch formen möge des Intellektes Hand:
Ist‘s nicht des Liebsten Bildnis, so ist es reizend nicht.
Der Hag, der Wein, die Rose ist reizend, aber doch
Ohne des Freunds Gesellschaft sind sie so reizend nicht.
Die Seele ist, o Hafiz, nur kleine Münze — wenn
Du vor dem Freund sie ausstreust, ist geizend; reizend nicht!

Die Miniatur zum Gedicht stammt von Sultan Muhammed.

Haft Aurang des Dschami

Die Werke des Dichters Dschami (1414-1492), insbesondere sein Werk „Haft Aurang“ („sieben Throne“) umfasst Epen von religiös-philosophischer Thematik. Ein Epos beschreibt die Liebe von Leila und Madschnun. Stuart Cary Welch schrieb in seinem Buch folgendes über Dschamis Werk:

In Dschamis mystisch gesehener Fassung der Geschichte von Laila und Madschnun trifft der Jüngling Kais – später Madschnun genannt – das Mädchen Laila nicht in der Schule, sondern er hört von ihrer ungewöhnlichen Schönheit und verliebt sich in die Beschreibung . Er such Laila auf, und die unglückselige Liebesgeschichte beginnt.

Die zum Kapitel „Kais‘ erster Blick auf die schöne Laila“ gehörende Miniaturmalerei wird Muzaffer ‚Ali zugeschrieben. 42
In der deutschen Übersetzung heißt es:

Kais‘ erster Blick auf die Schöne Laila,
Miniatur von:
Muzaffer‘ Ali
1556-1565,
Free Gallery of Art,
Smithsonian Institution,
Washington, D.C.

[…]

Denn einer Jungfrau, einer schlanken,
Ward er gewahr: hold, anmutreich
War sie, dem Rebhuhn der Berge gleich.
Schüchtern schien sie und fast voll Bangen;
Und wie sie eintrat, an ihren Wangen
Hing ihm der Blick, die wie Rosenblüten,
Erst eben der Knospe entstieg‘ne, glühten.

Die Brauen, die ihre Augen umzogen,
Glichen aus Ambra gebildeten Bogen.
Durchwallt ward im Gezelte die Luft
Von ihrer Lippen würzigem Duft.
Schönlockig war sie und schöngeaugt,
Das Lächeln, das ihren Mund umgaukelt,
Glich der Biene, die, sanft geschaukelt,
Den Blüten ihren Honig entsaugt.
So weiß nicht wie ihre Zähne waren
Die Perlen des Meer‘s, die krystall‘nen, klaren.
Der Rose glich ihr Angesicht,
D‘rauf Thau noch zittert im Morgenlicht.
Keis, seitdem er Leila erblickt,
War ganz von ihren Reizen umstrickt.
[…]

Das Schönheitsideal zusammengefasst:
Die runden weißen Gesichter, die gebogenen durchgezogenen Augenbraunen, die schlanken Formen und der flache Busen, wie sie in den Gedichten beschrieben werden und auch in den Miniaturmalereien zu sehen sind, weisen auf das Schönheitsideal der damaligen Zeit hin. Einige dieser Schönheitsmerkmale sollten viele Jahrhunderte später die Kadscharendynastie prägen.