Im ersten Teil von – Was bedeutet Schönheit – wurde der Schönheitsbegriff anhand der ästethischen Kunst der alten Griechen und den Philosophen Sokrates, Platon und Kant beschrieben. Auch die Schönheit im Verlauf der Schönheitsgeschichte wurde angefangen und bis zur Antike erläutert. Im zweiten Teil fahre ich direkt an dieser Stelle fort.
Mittelalter
In der europäischen Geschichte beschreibt das Mittelalter die Zeit um das 6. bis 15. Jahrhundert. Die vorherrschende Gesellschafts- und Wirtschaftsform des Mittelalters war der Feudalismus. Zentrales Merkmal dieser Zeit ist die christliche Religion: diese durchdringt und bestimmt alle Bereiche der Gesellschaft, wie Wissenschaft, Kultur, Literatur und Kunst. Auch aus folgenden Versen, die die Schönheit der Frau beschreiben, ist die christliche Prägung zu entnehmen:
Und unter dem Gürtel schmale Hüften.
Von schöner Gestalt
Das Haar hochgesteckt, schimmernd und
Von einer Farbe, die an Gold erinnert.
oder
Italienisches Dekor für königliche Hochzeiten
Hübsch war der Köper und wohlgestaltet
Mit feiner und schlanker Taille
Und unter dem Gürtel schmale Hüften
In einer strengen Gesellschaft werden die Phantasievorstellungen über schöne Frauen sehr diskret behandelt. So erreichten die Edeldamen, die Wertschätzung ihrer weiblichen Qualitäten der ehemals frauenfeindlichen Gesellschaft abzugewinnen. Es ging sogar soweit, dass Theologen des Mittelalters die Schönheit der Frau als Spiegelbild der göttlichen Schönheit erklärten.
Die Verse des Poeten Euriant aus seinem Werk „Le Roman de la Violette“ lassen darauf schließen, wie sich das Empfinden über die Schönheit des Frauenkörpers verändert hatte. Im Mittelalter sind schlanke Taillen und schmale Hüften Schönheitsmerkmale. Die mittelalterliche Literatur lobt insgesamt die Schönheit schlanker Frauen.
Dichter und Künstler gebrauchen sehr oft als Motiv den Typ der schlanken, hochgewachsenen Frau mit ihren kleinen Brüsten. Teilweise ähnelt das Schönheitsideal des Mittelalters dem der Moderne. Schlanke und hochgewachsene Frauen mit kleineren Brüsten werden auch heute von der Modeindustrie bevorzugt.
Renaissance und Barock
Der Begriff „Renaissance“ (franz. : Wiedergeburt) wird als die Wiedergeburt der Antike verstanden und wurde vom französischen Historiker Jules Michelet im 19. Jahrhundert geprägt. 12
Mit der Wiedergeburt der Antike ist die kunsthistorische Epoche gemeint, die um 1420 begann und bis ins 16. Jahrhundert reichte. Die Menschen jener Zeit besinnten sich wieder auf die Freiheit des Denkens, der Meinungsäußerung und des Glaubens.
Auch wenn sich dies stark nach antiken Werten anhört und somit der Name Renaissance gerechtfertigt erscheint, hat das Schönheitsideal der Renaissance recht wenig mit den Idealen in der Antike gemein.
Der Arzt Jean Liebault schrieb im Jahr 1582 in „Drei Werke zu Verschönerung und zum Schmuck des menschlichen Körpers“, dass sich im Vergleich zum Mittelalter die Blicke nun Frauen zuwenden, die:
[…] einen vollen, ausladenden, weißen Oberköpern haben mit zwei runden festen Äpfeln, die wie kleine Wellen auf und ab wogen; die Arme sollen fleischig und kräftig sein; die Hände weiß, keinesfalls länglich und nicht sehr breit und auf dem Handrücken darf man keine Knoten oder Venen sehen; die Füße sollen klein, kurz trocken und rund sein, frisch und leicht.
Weiter beschreibt er, sollten die Damen über jene Schönheitsmerkmale verfügen:
Das Kinn kurz und in der Mitte vertieft und im unteren Bereich so fleischig und fett, daß es zum Hals hin hinabhängt und ein zweites Kinn zu formen scheint; die leuchtenden, blutroten Wangen müssen hoch sein, mit kleinen Grübchen in der Mitte, in denen ein hübschen Lachen sitzt; die Ohren sollen rund, kurz und nicht hängend sein, Hals und Kehle wohlgerundet[…]. Dies ist das Bild und das perfekte Beispiel wahrhafter und naiver weiblicher Schönheit.
Waren in der Antike noch relativ dünne bis gemäßigtere Körperformen der Frauen attraktiv, ist in der Renaissance das Gegenteil der Fall. Im Bezug auf das Schönheitsideal ist es also wahrlich keine Wiedergeburt.
Der Barock wird durch den Absolutismus, die Kirche und Elemente der Antike bestimmt und findet im Zeitraum von 1600-1770 statt.
Ein berühmter Künstler jener Zeit, Peter Paul Rubens (1577-1640) fasste Jean Liebaults Beschreibungen der idealen Schönheit einer Frau in seinen gemalten Werken zusammen.
Der Begriff „Rubensfigur“ wurde durch Peter Paul Rubens Kunstwerke geprägt und bezeichnet Frauen mit üppiger Figur.
Um ihren Rundungen mehr Ausdruck zu verleihen, zwangen sich die Frauen ab Mitte des 17. Jahrhundert in Korsetts, um Ihre Körperformen in die beliebte Sanduhrform zu bringen. Dieses Ideal behielt fast drei Jahrzehnte ihre Bedeutung als Zeichen für weibliche Schönheit.
Das Schönheitsideal des Barocks und der Renaissance unterscheiden sich kaum und können als eine Epoche der gleichverstandenen Schönheit der Frau aufgefasst werden.
Das „lange“ 19. Jahrhundert
Eric Hobsbawm, ein renommierter britischer Universalhistoriker, definiert die Zeit nach der französischen Revolution von 1789 bis zum Anfang des ersten Weltkriegs 1914 als das „lange“ 19. Jahrhundert.
Durch die französische Revolution hatte das Bürgertum die Vorherrschaft des Adels durchbrochen. Mit dem Ende des ersten Weltkriegs mündete diese Entwicklung in die Demokratisierung der europäischen Gesellschaften. Die Epoche des 19. Jahrhunderts war die Zeit der Industrialisierung und der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Durch den Imperialismus erreichte Europas Dominanz seinen Höhepunkt.
Die Errungenschaften der neuen Gesellschafts- und Wirtschaftsformen veränderten nicht nur die Verhaltens- und Denkweisen der Menschen, sondern auch die Lebensweisen drastisch. Die Schnelllebigkeit erhielt Einzug in die Gesellschaft und steht im Kontrast zur einfachen Lebensart der Menschen im letzten Jahrhundert.
Diese Veränderungen hatten natürlich auch ihren Einfluss auf das Schönheitsideal des „langen“ 19. Jahrhunderts. Mit dem Ende der französischen Revolution stellten sich die Frauen gegen das Ideal der schmalen Hüfte und des Korsetts. Das Schönheitsideal der Antike, in der sich Frauen mit leichten Gewändern kleideten und im Kleidungsstil mit keinerlei Zwängen auferlegt waren, erhielt Einzug.
Laut Alexander Walker ist das Schönheitsideal des frühen 19. Jahrhunderts nicht nur im Kleidungsstil deckungsgleich mit dem der klassischen Antike, auch die Symmetrie des Gesichts lässt antiken Einfluss erahnen. Eine kleine, gerade Nase, dünne Lippen und saubere, regelmäßige Zähne waren Ausdruck weiblicher Schönheit.
So abrupt das neue Zeitalter des Schönheitsideals begann, genauso schnell endete die Schlichtheit der Mode und der Schönheit mit der Herrschaft Napoléons im Jahre 1804. Korsetts und aufwendige Kleider waren wieder in Mode und auch das Make-up half dem Schönheitsideal zu entsprechen.
Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts und der Entfaltung der neuen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen erhält die Wahrnehmung des Körpers einen Wandel. Fette Menschen werden mittlerweile als träge und faul deklassiert, wohingegen die Schlankheit Zeichen leistungsbereiter und erfolgreicher Menschen wird. Die Schlankheit als Schönheitsmerkmal bleibt, bis auf eine kleine Ausnahme nach dem zweiten Weltkrieg, bis heute bestehen.
Das 20. Jahrhundert bis heute
Das 20. Jahrhundert ist ein Jahrhundert der schnell wechselnden Schönheitsideale, die teilweise auch den Umständen der zwei Weltkriege geschuldet sind.
Das Korsett z.B, welches die üppigen Frauenkörper in Form hielt und dadurch die Rundungen deutlicher machte, und die schmale Taille zum Vorschein brachte, musste weichen. Stattdessen erhielt die schlanke sportliche Figur wieder den Vorzug. Der schlanke Körperkult zieht sich fast lückenlos bis in unsere heutige Zeit. Lediglich der Brustumfang als Schönheitsmerkmal variiert seit Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder. So war zum Beispiel 1910 ein üppiger Busen schön und begehrenswert; dies änderte sich aber schon in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Im Folge des 1. Weltkriegs waren die Frauen wieder auf ihre Selbstständigkeit angewiesen und zeigten es äußerlich in Form ihrer Frisuren mit dem sogenannten Bubikopf: kurz geschnittene Haare, die an einen Herrenschnitt erinnern. Die schlanke Figur wurde beibehalten und der Busen konnte nun auch kleiner sein. Durch die neuen Umstände, die der Krieg mit sich brachte, änderte sich nicht nur das Bild der Frau, sondern auch ihre Verantwortung in der Gesellschaft wuchs. Ihr wurden immer mehr Rechte zu Teil, die vorher nur Männern vorbehalten waren. Das Wahlrecht der Frauen und die fast uneingeschränkte freie Berufsauswahl sind Veränderungen jener Zeit, die auch maßgeblich zur Emanzipation der Frau Mitte der 1940er Jahre beigetragen haben. Die moderne Frau trug nun kniekurze Kleider, deren Taille an der Hüfte saß, aber auch Hosen und Krawatte. Lackierte Nägel und gepflegte Augenbrauen rundeten das neue Bild der Frau ab.
Die Frau hatte sich zwischenzeitlich neu erfunden und das Erscheinungsbild von üppigen Rundungen zu schlanker und sportlicher Figur gewandelt. Diese wurde aber mit dem Ende des 2. Weltkrieges wieder beendet, da die erneuten Missstände nach dem Krieg vielerorts Entbehrungen nach sich zogen. Es galt nun: die Wohlgenährte ist schön.
Dieses Phänomen hatte aber nicht lange Bestand und änderte sich in den 1960er Jahren mit den Entertainment-Größen wie Marilyn Monroe und Liz Taylor.
Eine schmale Taille und lange Beine in Kombination mit großem Busen waren begehrenswert. Seit dieser Zeit hat sich der schlanke Körperkult – wenn auch zwischenzeitlich als gefährlicher Schlankheitswahn – gehalten. Dieser kommt einher mit verschiedenen Schönheitsmerkmalen im Gesicht und der Größe der Oberweite. Es existiert bis auf die schlanke Figur kein klar definierbares Schönheitsideal mehr.
Die heutigen Modemagazine zeigen täglich neue Models, mit anderen Schönheitsmerkmalen. Mal ist es ein Model mit schneeweißer Haut und vollen, roten Lippen und mal ist es die exotische lateinamerikanische Schönheit mit leicht brauner Haut, mit prallen Brüsten und schmaler Taille. Die Vielzahl an Schönheitsmerkmalen in der heutigen Zeit – das Körpergewicht ausgenommen – scheint eine Ansammlung der Schönheitsideale der vergangenen Jahrhunderte zu sein, die in jeglicher Form und Ausprägung seine Zielgruppe zu finden scheint.